Senem Işık

Chefköchin, Aehrlich, Wien

„Ich würde gerne Maya Angelou an meinen Tisch einladen und sie fragen: „Welche Schmerzen haben dich als Frau, als Migrantin, als Köchin, als Künstlerin stärker gemacht.

Foto © Teresa Wagenhofer

Senem ist gebürtige Istanbulerin und kam im Zuge ihres Studiums nach Wien. Eigentlich wollte sie dort Publizistik und Kommunikationswissenschaften studieren, fand jedoch über Nebenjobs in der Küche ihre Leidenschaft für die Gastronomie. 2019 begann sie über ein Frauenförderprojekt ihre Ausbildung in der Küche und ist heute Küchenchefin im Aehrlich in Wien.

In der Türkei studierte sie zunächst Keramik an einer traditionellen Kunstschule. Schon immer wollte sie Sprachen, Länder und Kulturen kennenlernen. Im Rahmen einer Hausübung in Kunstgeschichte sprach sie über Wien und war begeistert. Die jahrhundertealte Geschichte der Häuser, alles vereint in einer Stadt. So kam sie mit einem dreimonatigen Touristenvisum nach Österreich und blieb.

Im Aehrlich kocht sie im Einklang mit der Natur. Sie kombiniert Gemüse und Obst, gern mit einem Twist aus ihrer Heimatküche. Sie liebt die Atmosphäre im Team und das Vertrauen, das ihr entgegengebracht wird. Inhaberin Johanna betreibt einen Bauernhof in Oberösterreich und bringt regelmäßig frische Eier, Milch, Käse, saisonales Gemüse und Mehl von sich und ihren Nachbarn mit, Zutaten, aus denen Senem ihre Gerichte zaubert.

„Wer nur ein paar Produkte zur Verfügung hat, wird kreativ.“
Foto © Teresa Wagenhofer

Und das schmeckt man in ihren Gerichten. „Ich sehe das als meine eigene Schule, um voranzukommen und mich weiterzubilden.“ Senem kocht überwiegend vegetarisch und ihre Gäste lieben den türkischen Einschlag in ihren Gerichten. Sie serviert wechselnde Tages- und Mittagsgerichte. Darüber hinaus wird täglich frisch gebacken. Wichtig ist ihr dabei, dass sich ihre Gäste nach dem Essen gut und nicht übersättigt fühlen.

Ihre Lieblingsgewürzpalette reicht von scharf bis sauer. Sumach und Chili dürfen bei ihr nie fehlen und erinnern sie an ihre Kindheit. „Österreich schmeckt hingegen sehr klar, nach Butter und Salz, lacht die junge Köchin.

Am liebsten experimentiert Senem bei ihren eigenen Supperclubs. Ihr Konzept? Ein Abend voller Geschichte. Sie verbindet Themen mit ihren Gerichten, klärt auf oder unterstützt, wie bei ihrem letzten Charity-Dinner mit Lev Vienna für junge Mütter in der Türkei. Ihr Zukunftstraum ist es, das Geschirr für jeden Gang selbst zu töpfern. Sie hat die Ausbildung dazu. Die perfekten Teller würden jeden Gang noch besser abrunden.

Foto © Senem Işık

So verbindet Senem all ihre Talente an einem Abend. Schon seit ihrer Kindheit schreibt sie gern, interessiert sich für Geschichte, besonders für das Essen großer Künstlerinnen und Künstler und das Essen aus deren Zeit. Sie töpfert selbst, macht Fotos, und ihr Herz geht auf, wenn alle an einem Tisch sitzen, den Abend genießen, lachen und eine gute Zeit haben. Am Tisch ist es egal, welchen Beruf man hat oder woher man kommt. Es geht um gemeinsame Zeit auf Augenhöhe und gutes Essen verbindet.

Ihr größter Wunsch ist es, ein Dinner mitten in einem Museum auszurichten, mit Gerichten quer durch die Epochen, mit Zutaten, die damals verwendet wurden, und überlieferten Rezepten, die große Künstlerinnen und Künstler damals gegessen haben. 

Foto © Senem Işık

„Die Geschichte spricht immer von Sokrates, aber kaum über die Frau, die seine Lehrerin war. Ich würde sie gerne an einen Tisch einladen und sagen: ‚Erzähl mir von dieser Zeit, von Sokrates, von dir, und wie es war, damals eine starke Frau zu sein.‘“

In Wien wird sie leider immer noch als türkische Frau wahrgenommen und nicht als Senem mit all ihren Facetten und Ideen. „Jeder hat eine Meinung über türkische Frauen. Das ist schade. Im Aehrlich verschenken wir zum Beispiel Kleinigkeiten, so wie es in der Türkei als gute Gastgeberin normal ist. Aber hier ist jeder immer erstaunt und freut sich.

Foto © Senem Işık

Neue Ideen holt sich Senem oft von ihrer Großmutter, die in einem kleinen Dorf lebt. „Sie hat immer etwas zu essen auf dem Herd, und ich versuche, diese Liebe und Einfachheit in meine Gerichte zu packen.

Am liebsten würde Senem sich durch die ganze Welt kosten, traditionelle Gerichte bei Menschen außerhalb des Tourismus probieren und von ihnen lernen. Warum ist bei uns und in der Türkei Brot so wichtig, während in Korea der Reis an erster Stelle steht. Beide Produkte lösen das gleiche Gefühl in den Menschen aus. Was ist die Geschichte hinter Kartoffeln, Reis oder Orangen?

Man spürt ihren Wissenshunger. Sie weiß zum Beispiel, dass bei einem Pizzabackwettbewerb der älteste Bäcker gewann, weil er sein Leben lang mit Sauerteig gearbeitet hatte und die Bakterien auf seinen Händen den Teig zu einer Perfektion trieben, die kein anderer erreichte.

Foto © Teresa Wagenhofer

Eine Frau, die ich dir sehr empfehlen möchte:

Alma Goller. Sie ist eine Sauerteigbrotmeisterin und hat ihre Meisterprüfung erfolgreich bestanden. Ich finde, sie hat nicht nur ein feines Gespür für Geschmack, sondern auch eine starke Haltung in diesem Bereich. Zurzeit arbeitet sie in der Lilla Soul Boulangerie.

Als ich über bedeutende Frauen in der Geschichte nachgedacht habe, sind mir viele eingefallen:

Die erste ist: Diotima von Mantinea.

Die Geschichte spricht immer von Sokrates, aber kaum über die Frau, die angeblich seine Lehrerin war.
Ich würde sie gerne an einen Tisch einladen und sagen:
„Erzähl mir von dieser Zeit, von Sokrates, von dir, und wie es war, damals eine starke Frau zu sein.

Die zweite wäre: Maya Angelou.
Ich würde sie fragen:
„Welche Schmerzen haben dich als Frau, als Migrantin, als Köchin, als Künstlerin stärker gemacht.

Kontakt

Senem Isik

Instagram: senemest

 

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