Rebecca Clopath

Naturköchin, Lohn GR, Schweiz

„Willst du Veränderung, dann sei die Veränderung.“ Gandhi

Fotos © Claudia Link

 

Daheim roch es immer herrlich. Meine Mama beschäftigte sich schon bald mit der makrobiotischen Küche, kochte asiatisch und afrikanisch. Wir hatten die besten, selbstgemachten Pausenbrötli und hausgemachten Eistee mit in der Schule. Wer so früh schon so viel über den Wert der Produkte mitbekommt, entwickelt automatisch eine Affinität zum Kochen. Das Verständnis dafür war natürlich als Teenager nicht immer vorhanden, da es bei uns zu Hause nie Trash-Food wie Schokolade, Chips oder Coca-Cola gab. Da sah ich mich hin und wieder sehr leid bei meinen Schulkolleg:innen. 

Ich wuchs auf einem Bauernhof auf 1.600 Höhenmetern in Lohn auf. Wir hatten unsere eigenen Milchprodukte, Gemüse aus dem Garten und das Fleisch von unseren Tieren am Hof. Meine Mutter war so unglaublich weltoffen und so kannten wir Sushi-Sandwiches zur Pause, Miso Suppen zum Frühstück und Grießbrei mit Kirschkompott. Bei diesen Gerichten lohnte sich das Aufstehen ganz besonders.

Wer so früh schon so viel über den Wert der Produkte mitbekommt, entwickelt automatisch eine Affinität zum Kochen.

Mit 14 Jahren habe ich mich dann selbst für eine Kochlehre entschieden, wollte davor aber noch mein Italienisch aufbessern und startete mit 17 in meine Lehre. Ich hatte unglaubliches Glück mit meinem Lehrherrn, der für damalige Verhältnisse ein Pionier auf seinem Gebiet war und die Wichtigkeit der Natur wiederentdeckt hatte. Ich lernte das Wildernten und die Vorzüge des eigenen Gemüsegartens.

2010 bin ich als Teammitglied der Junioren-Mannschaft bei der WM in Luxemburg gelandet und gewann mit meinem Team Doppel-Gold und den Gesamt-WM-Titel. Schon während dieses Wettbewerbes stellte ich für mich fest, dass ich lieber im Team gemeinsam füreinander arbeitete, anstatt gegeneinander. Damals wie heute möchte ich lieber gemeinsam etwas aufbauen, anstatt von außen in einem Wettbewerb beurteilt zu werden. 

In den folgenden sechs Jahren durfte ich sehr viel über die Verarbeitung von Naturprodukten lernen. Auch viel über Philosophie, Mythologie, Alchemie und vieles mehr. 

„Damals wie heute möchte ich lieber gemeinsam etwas aufbauen, anstatt von außen in einem Wettbewerb beurteilt zu werden.”

Auch während meiner Ausbildung zur Bäuerin verbrachte ich einige Zeit an einem sehr zukunftsorientierten und regenerativ arbeitenden Gemüsebauernhof und fand ihren differenzierten Blick auf die Landwirtschaft sehr spannend. Mir wurde immer mehr bewusst, wie ich meine Philosophie und die Gastronomie, in der ich diese umsetzen würde, führen möchte. Dabei wollte ich das Kochen ganzheitlich, teilweise philosophisch betrachten und die ehrliche Hospitality in den Vordergrund stellen. Ich wollte eine Verbundenheit zu meinen Gästen spüren und sie um eine besondere Erfahrung bereichern. 

Mit meinen Essenswahrnehmungen aktiviere ich alle Sinne. Die Achtsamkeit steht dabei immer klar im Fokus. Als Köchin bin ich nach dem Essen auch noch für meine Gäste verantwortlich und möchte nicht, dass sie um 23:00 Uhr vollgegessen mein Restaurant verlassen, ins Bett fallen und dann nicht schlafen können. Deshalb finden meine Wahrnehmungen von 12:30 bis 17:30 Uhr statt. Dabei treffen unsere Gäste ganz unterschiedlich gekleidet ein, vom Wanderoutfit direkt von der Tour bis hin zum schick gekleideten Herrn im Maßanzug, der einen Porsche fährt, ist alles dabei. Bei uns wird niemand bewertet und darf sein, wie er/sie sich heute fühlt. Wir starten immer mit einem Tee und einer Achtsamkeitsübung und ab Gang vier sind alle Gäste auf dem gleichen Entspannungsniveau angelangt. Nach dem 6. Gang findet eine Pause statt, in der sie einen kleinen Spaziergang auf der Alm machen können und nach Gang 9 verlässt uns jeder mit einem Gefühl der Geborgenheit. Das ist es, nachdem heute so viele Menschen suchen. 

Wir erzählen zu jedem Gang des Menüs Geschichten. Die heurige Wahrnehmung stand unter dem Titel „Wort“ und behandelte ganz viele Facetten der Lyrik. Wir lesen Geschichten vor, unsere Gäste werden eingeladen, mit den Fingern zu essen und es gibt bei einem Gang eine musikalische Begleitung, um auch diesen Sinn mit einzubeziehen. Wir überraschen mit Gerichten, die es vorher so noch nie gegeben hat. Das ist mein Anspruch bei jedem Gang, daher schaue ich auch nicht auf die Arbeit meiner Kolleg:innen, da man unterbewusst immer etwas kopiert. 

Gerade erst war ich bei einer großen Veranstaltung zum Thema „Wald und Wiese“ eingeladen und servierte als eine von 50 Köch:innen Tannenzapfen und Lärchenöl. Als ich durch die Reihen der anderen Restaurants ging, fand ich 37 gebeizte Fischgänge, sieben Ceviche und fünf vegetarische Gänge. Ich war die einzige, die das Thema wirklich umgesetzt hatte und dachte, wie schade es sei, wenn ich mich auch nach den aktuellen Trends richten müsste. Gerade beim Ceviche, und ich liebe Ceviche, sind wir Chefs und der Gast in der Verantwortung, zu hinterfragen, ob wir in unseren Breitengraden nicht auf manches verzichten sollten. Unsere Elterngeneration und wir haben soviel Raubbau an unserer Natur getrieben, dass wir jetzt handeln müssen und unseren gewohnten, „chilligen“ Wohlstand schnell überdenken sollten. 

„Willst du Veränderung, dann sei die Veränderung.“ Gandhi

All meine Entscheidungen haben mich heute hier hergeführt und ich bin in der sehr glücklichen Lage, dass mein Konzept aktuell im Trend liegt. Was mich im Herzen berührt, bewegt andere Menschen und zeigt mir, dass es Sinn macht, an meinem Weg festzuhalten. 

2014 startete ich, mit der Hilfe meiner Familie, mit den ersten Essenswahrnehmungen im kleinen Kreis. 2018 begannen wir dann offiziell und ich kann seither eigene Mitarbeiter:innen beschäftigen. Außerdem richten wir unsere Esswahrnehmungen nach den arbeitsarmen Zwischensaisonen aus. Das heißt, wir bieten unsere Menüs dann an, wenn wir es für den richtigen Zeitpunkt halten. In der Zwischenzeit bestellen wir unsere Felder, den Garten, säen, pflegen und ernten. Ich führe meinen Hof nach dem Kreislaufprinzip und versuche den Gedanken der Permakultur mitzutragen. Mein Ziel wäre eine regenerative Gastronomie mit ganz vielen, selbst gezogenen Raritäten. 

In eine Essenswahrnehmung fließen um die 650 Arbeitsstunden. Meine Mitarbeiterin Martina, zuständig für das Backoffice und die Organisation, hat großartige Ideen und tüftelt mit mir total gerne an den ersten Ideen. Danach holen wir die Küche und den Front Desk ins Boot und wir brainstormen gemeinsam weiter. Zum Schluss zeichne ich jeden einzelnen Gang und lege fest, wie er wird. Mein Küchenteam trifft dann die Entscheidung, wer auf welche drei Gänge Bock hat und bekommt diese in ihre 100 % Verantwortung. Wir haben keine klassischen Stationen wie in vielen anderen Küchen, sondern jeder ist für den gesamten Gang zuständig, von der Sauce, über die Beilagen bis hin zum finalen Schliff. Ich glaube, dass man ein Gericht besser und runder abschmecken kann, wenn man für das Ganze zuständig ist. Mit unserem Front-Desk erarbeiten wir dann noch die selbstgemachte alkoholfreie und die alkoholische Begleitung. Da alle Zutaten aus unseren Alpen stammen, gibt es zum Schluss auch keinen Kaffee. Meiner Meinung nach verunstaltet er den Geschmack eines so aufregenden Menüs. Wer es jedoch ohne nicht aushält, bekommt eine Lupinen Infusion, welche mit ähnlichen Aromen begeistert. 

„Am spannendsten finde ich gerade das Arbeiten mit Bakterien, Pilzen und Hefen.“

Neue Ideen entstehen bei mir in der Natur. Ich finde die Textur einer Birkenrinde genauso spannend wie ein adstringierendes, grünes Blatt. Genauso haben mich gerade Vorträge und persönliche Gespräche auf der BEAM in Bozen inspiriert. Es gibt so viele tolle Konzepte da draußen und ich blicke voller Hoffnung in die Zukunft. 

Am spannendsten finde ich gerade das Arbeiten mit Bakterien, Pilzen und Hefen. Gereifte Karotten schmecken plötzlich nach einer Salami und du denkst dir, Wow! Bei solch spannenden Geschmacksnuancen stehen wir noch am Anfang. 

Auch, welchen Einfluss Essen auf unsere Psyche hat, ist kaum erforscht. In dieses Thema würde ich sehr gerne tiefer eintauchen, aber aktuell gibt es keine Literatur dazu. 

Mit welcher Frau aus der Kulinarik Branche arbeitest du jetzt schon gerne zusammen?

  • Mit Esther Kern, eine ganz großartige Frau, die seit Jahren Köchinnen in der Schweiz zu einem regelmäßigen Stammtisch einlädt und selbst eine tolle Kochbuchautorin und Vorreiterin ist. 
  • Mit Martina Auer, mit ihr arbeite ich sehr eng zusammen, sie koordiniert alles in unserem Betrieb
  • Mit Lisa Jankovics, meiner Köchin

Mit welcher Frau würdest du gerne an einem Tisch sitzen und dich austauschen?

  • Hildegard von Bingen

  • Marie Curie

  • Angela Merkel 

  • Pippi Langstrumpf

Themen:

  • Lokal als Denkweise, nicht nur das Essen am Teller, sondern auch das Gesamte rundherum
  • Wie man mit Hospitality Räume schaffen kann, in denen alle willkommen sind und ein Kollektiv entsteht
  • Und natürlich ein philosophischer Talk über das Essen

Kontakt

Rebecca Clopath
Punsolas 2
7433 Lohn GR, Schweiz

novas@rebecca-clopath.ch
https://rebecca-clopath.ch/

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